Die Familie Légeret und die Amish-Quilts oder die Geschichte der Entstehung der Carrefour
- 05/09/2025
Das erste Mal hatte ich mich 2023 entschlossen, zu diesem Carrefour Patchwork Festival zu fahren.
Und was für eine Überraschung war es, dann endlich da zu sein. Ganz Sainte-Marie-aux-Mines war mit Quilts in den Schaufenstern der Geschäfte geschmückt. Und der Ort an sich, zauberhaft. Die Gegend ebenfalls wunderschön.
Ich hatte mich im Vorfeld ein wenig über das Val d’Argent, in dem das Festival ja stattfindet, informiert. Und dabei bin ich auf die arte-Reportage über das Silbertal & die Amisch.
Amisch? Im Elsass? Ich hatte keine Ahnung, fand es aber spannend zu lernen, dass das Elsass der historische Geburtsort der Amischen ist. Hier löste Jakob Amann 1693 die Abspaltung von den Mennoniten ausl. Die Amischen verließen die Schweiz und das Elsass und wanderten in die USA aus.
Darüber wollte ich mehr erfahren. In Sainte-Marie-aux-Mines wird den Quilts der Amischen sowie ihrer Traditionen und Geschichte eine eigene Ausstellung gewidmet.
In diesem Jahr wurde sie von Jacques Légeret und Hans Zogg,
veranstaltet, beides Schweizer Sammler von Amish- und Mennoniten-Quilts.
Wunderschöne, schlichte und atemberaubende Designs. Wie Quilt-Sammler Hans Zogg in seinem Vortrag erklärt (auf jeden Fall einen Besuch wert, sehr interessant! Hinweis: Dieser Vortrag ist auf Deutsch), sind Amish-Quilts Kunstwerke, auch wenn sie den Familien in erster Linie als Gebrauchsgegenstände dienten.
So faszinierend das auch war, ich habe nicht ganz verstanden, wie es überhaupt zu dieser Verbindung zum Festival gekommen ist. Schließlich begann das Anfertigen dieser wunderschönen Steppdecken doch in den USA, lange nachdem die Amischen das Elsass verlassen hatten.

Jacques Légeret
Und diese Geschichte, also wie es dazu kam, dass hier in Sainte-Marie-aux-Mines dieses zauberhafte Festival stattfindet, die hat mich wirklich sehr berührt.
Ich will Jacques Légeret nicht nehmen, die Geschichte selber zu erzählen. Das macht er sicher auch in diesem Jahr bei einem Vortrag. Ich habe ihm im letzten Jahr zugehört und später lange mit ihm gesprochen. Er ist ein außerordentlich charmanter und warmherziger Mensch.
Nur stark verkürzt: Das Schweizer Ehepaar Jacques und Catherine Légeret bekommen Anfang der 80 ihren Sohn David. Er ist behindert und die Ärzte geben ihm kaum eine Chance. Die Légerets setzen alles daran, David zu helfen und ihm ein gutes und möglichst langes Leben zu ermöglichen. Die Suche nach Therapiemöglichkeiten führt sie schließlich auch in die USA, nach Philadelphia. Und einmal halten sie zwei Stunden entfernt von Philadelphia bei einer amischen Gemeinde. Das ist der Moment, der ihr Leben nachhaltig verändern wird.
Jacques Légeret erzählt: „Wir hatten David auf dem Arm und sie öffneten uns sofort die Türen“. Für die Amischen sind Catherine und Jacques Priveligierte, weil Gott Ihnen David zur Fürsorge anvertraut hat“. David ist also ein besonderes Kind, das hier wertgeschätzt, behütet und umsorgt wird.
Bilder: Jacques Légeret
Die Légerets werden über die Jahre – sie fahren immer wieder für die Therapie in die USA – von den Amischen quasi adoptiert. Jacques Légeret beschäftigt sich in der Zeit intensiv mit der Geschichte und Kultur und auch den Quilts der Amischen. Er hatte zuvor schon begonnen, welche in die Schweiz mitzunehmen, um sie dort zu verkaufen, um so die Kosten für die Behandlung etwas abzufedern. Jacques und Catherine haben in der Zeit kaum ein anderes Einkommen.
Einige Jahre – und etliche Quiltkäufe – später findet in Sainte-Marie-aux-Mines ein Symposium über Baptisten, Amische und Mennoniten statt. Das war 1993, dreihundert Jahre nach der Entstehung der amischen Bewegung. Internationale Historiker reisen an und Jaques – der inzwischen immer wieder Vorträge über die Amisch und über die Quilts hält wird gefragt, ob er nicht ein paar der Quilts zeigen könnte. Er erzählt:
„Das war fantastisch. Wir hatten überall Quilts. Quilts Quilts Quilts. Und die Leute in Sainte-Marie-aux-Mines und auch die Teilnehmer des Symposiums haben so die amischen Quilts entdeckt.„
„Jemand in der Gemeinde von Sainte- Marie-aux-Mines hat gesagt: ‚wir wissen fast nichts über die Quilts, wir wissen fast nichts über die Amischen, es wäre eine gute Idee, eine Messe zu machen‘„
Jacques Légeret
Kurzum: das Festival war geboren. Also die Idee. Zwei Jahre später war es dann soweit.
Erinnerungen
- erstes Plakat der Veranstaltung
- Amische, die zum Kolloquium 1993 kamen
- 1993: Jacques Légeret hängt die ersten Patchworkarbeiten im Theater von Sainte-Marie-aux-Mines auf
- 1995: erster Carrefour in der Villa Burrus in Sainte-Croix-aux-Mines
Ohne David, der im letzten Jahr (2024) im Alter von 42 Jahren gestorben ist – und fast sein ganzes Leben lang von Quilts umgeben war – ohne die Légerets, ohne die Amischen in Philadelphia und ihre wunderschönen Quilts gäbe es dieses phantastische Festival nicht.
Die Légerets haben es geschafft, Verbindungen zu knüpfen. Ihre Geschichte ähnelt vielen Quilts, die wir heute auf dem Festival bewundern können. Zusammengenähte Stoffteile, die zusammen ein Bild ergeben, eine Geschichte erzählen, Gefühle zum Ausdruck bringen.
Und ganz egal, ob die Quilterinnen und Quilter, deren Arbeiten beim Festival zu sehen sind in ihren Arbeiten improvisieren, streng nach Plan arbeiten, Traditionen pflegen oder abstrakt und modern mit Stoff und Faden Kunstwerke erschaffen. Die amischen Quilts, die auch dieses Jahr wieder ausgestellt werden, haben für alle eine ungeheure Ausstrahlungskraft.
All das hat meine Verbindung zum Festival noch verstärkt. Und auch wenn ich ihn nie persönlich kennengelernt habe, nimmt David Légeret so einen besonderen Platz in meinem Herzen ein.
Ohne ihn hätte ich nie die wunderbaren Erfahrungen gemacht, die ich in Sainte-Marie beim Carrefour machen durfte – ich freue mich darauf, auch dieses Jahr wieder dabei zu sein.

PS: Natürlich sind Jacques Légeret und Hans Zogg – die zusammen die größte Sammlung von Amish-Quilts in Europa besitzen – enge Freunde geworden. Wenn Sie ihnen begegnen, gehen Sie hin und sagen Sie ihnen Hallo! 😊
Hinter diesem Artikel:
Susanne Papawassiliu
Rundfunkjournalistin und Moderatorin, Goethe Institut
Susanne Papawassiliu ist eine selbsternannte „Enthusiastische Textilkunst-Anfängerin“.
Während der Pandemie entdeckte die freiberufliche Journalistin ihr Faible für Patchwork. Die zahlreichen Tutorials waren auch eine Säule der Zuversicht in dieser ungewissen Zeit. Da gab es eine Idee, jemand der sie umsetzen wollte und konnte und am Ende kam ein Quilt dabei heraus.
2023 dann der erste Besuch beim Carrefour und erste Gehversuche in Sachen Kurven mit Daisy Aschehoug von Warmfolk bei den Workshops in Sainte Marie. Und ein Fernsehbericht über das Festival für den Sender, für den sie arbeitet.
Als Ausgleich zu dem Job als Radiomoderatorin, Fernsehautorin und professionelle Sprecherin ist ihr da Arbeiten mit Stoffen, Garnen und Mustern über die letzten Jahre mehr als lieb geworden.
Hin und wieder muss sie ihren Freundeskreis in Berlin, wo die Quilterszene relativ klein ist, davon überzeugen, dass Patchwork und quilten oder auch Stickkunst alles andere als langweilig oder öde ist. Mit den Eindrücke, die sie aus Sainte-Marie-aux-Mines und den anderen Orten des Festivals mitbringt ist das ein Kinderspiel.
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